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Die Milz – ein fast vergessenes Organ

Teil 2

Wegen der Vielseitigkeit der Milzfunktionen ist es wichtig, deren Unterstützung in ein systemisches Therapiekonzept zu integrieren. Der Organismus bekommt dadurch einen weiteren, unter Umständen sehr wichtigen, Überwindungs- und Heilungsreiz.

An dieser Stelle möchte ich in das humoralmedizinische Denk- und Arbeitsmodell mit den qualitativen Aspekten wechseln, durch die sich die Kardinalsäfte definieren. Im Zusammenhang mit funktionellen Defiziten der Milz steht die Schwarzgalle (Melancholera) mit ihren vielseitigen Manifestationen im Zentrum.

Bei der Melancholera haben wir es mit dem Wirkprinzip zu tun, das die Elementarqualitäten „kalt“ und „trocken“ repräsentiert. Ich möchte diese beiden Begriffe in unsere heutige Denkweise übersetzen: Kälte bedeutet einen Mangel an physiologischer Wärme, also das Fehlen der Qualität, die jede Dynamik und Aktivität im Organismus aktiviert, am Laufen hält und reguliert. Wärme ist also auch die Qualität im Organismus, die dafür verantwortlich ist, dass der Organismus in einem dynamischen Anpassungsprozess an die wechselnden Bedingungen seiner Umwelt bleibt. Daher ist auch ein Abwehr- und Heilungsprozess ohne Wärmequalität nicht möglich – und auch keine Reaktion auf Therapiereize. Im Extremfall tritt eine völlige Reaktionsstarre ein. Das, was Hufeland und Hahnemann als „Lebenskraft“ bezeichnen, ist in diesem Falle deutlich reduziert und „verstimmt“. Der „innere Arzt“ ist bei dieser melancholischen Situationen deutlich geschwächt. Die zweite Qualität der Schwarzgalle, die Trockenheit, bringt zum Ausdruck, dass auch das stoffliche Prinzip stark reduziert ist. Der Begriff “Feuchtigkeit” ist in der TEN nicht nur die Voraussetzung für jeden Aufbau von organischer Materie, sondern steht auch für die Speicherform der Energie (potenzielle Energie). Es besteht eine unauflösliche Wechselbeziehung zwischen den beiden Qualitäten. Auch die Speicherenergie – und damit die Reserven – fehlen bei der Schwarzgalle. Zusammengefasst: Es besteht ein generelles Defizit sowohl des dynamisierenden, als auch ernährenden Prinzips. Trockenheit ist aber auch wörtlich zu verstehen: In Körperflüssigkeiten gelöste Stoffe werden stark konzentriert, kristallisieren aus, bilden Konkremente und Steine, ein Vorgang, der in der traditionellen Heilkunde als „Kristallose“ bezeichnet wird. Die Melancholera ist der Kardinalsaft mit der höchsten pathogenen Potenz überhaupt. Jeder Mensch hat Schwarzgalle in sich, sie entsteht im physiologischen Säftehaushalt und hat auch physiologische Bedeutung – wenn auch nur in geringem Umfang. Sie darf aber nicht im Übermaß vorhanden sein, sonst bekommt sie prägenden Einfluss auf das Temperament und die konstitutionelle Situation des Menschen. Wird die Schwarzgalle nicht ausgeschieden, kommt es zu gravierenden Problemen. Und das dafür verantwortliche Organ ist die Milz. Sie hat die Aufgabe, die melancholischen Säfte und Schärfen aus der Blutflüssigkeit abzusondern, aufzuspalten und dann via Magen–Darm–Takt zu eliminieren. Bei einer Milzinsuffizienz nimmt das schwarzgallige Prinzip überhand, was im Laufe der Zeit immer massivere pathophysiologische Konsequenzen nach sich zieht. Die sich entwickelnden Krankheitsbilder lassen die zugrundeliegenden schwarzgalligen Prinzipien meist deutlich erkennen: Die Abwehrreaktionen auf pathogene Reize fallen zu gering aus, dadurch wird der Weg in die Chronizität geöffnet: Akute Krankheiten werden nicht überwunden, nicht ausgeheilt, sondern sie nehmen einen schleppenden Verlauf mit immer weiter reichenden Folgeproblemen; degenerative Prozesse – der ganze Bereich der Krankheiten mit der Endung … – ose kann auf schwarzgalliger Basis entstehen. Elastizitätsverlust und Erstarrung sind weitere Themen melancholischer Pathophysiologie, nicht nur im körperlichen, sondern auch im psychischen Bereich. Diese Menschen werden träge, antriebs- und motivationslos und im Umgang mit ihrer Umgebung unflexibel, verlieren ihre Anpassungsfähigkeit. Dies ist der Kernpunkt dessen, was man als Melancholie bezeichnet. Diese wird nicht nur durch depressive Verstimmungszustände geprägt, sondern dazu gehört auch die Unfähigkeit, sich verändernden Situationen anzupassen– -im psychischen und im körperlichen Bereich. Die Endstation diese Entwicklung kann die Malignität sein. Die Entartung in den bösartigen Bereich hinein ist kein Muss, aber leider sehr häufig zur beobachten. Bildhaft gesprochen, kann man die Melancholera mit einem „Bremsklotz“ bezeichnen, der sämtliche Vitalfunktionen in ihrer Dynamik reduziert und oft sogar blockiert. Aus den grundsätzlichen melancholischen Krankheitsprinzipien ergeben sich einige typische Krankheitsbilder:

Depression, Motivationslosigkeit: Es ist kein ‘Pepp’, keine Power mehr vorhanden, die Menschen schaffen es nicht mehr, aus ihrer Lethargie herauszukommen, weil ihnen einerseits der Impuls (das Feuer) dazu fehlt und andererseits fehlt ihnen auch die Energiereserve (die Feuchtigkeit) um diese Leistung erbringen zu können. Chronische, trockene Katarrhe sind typisch melancholische Krankheiten. Sie merken, man kann hier gut differenzieren: Katarrhe mit viel Schleim und Schwellung der Schleimhäute entstehen meist auf der Basis von zu viel Phlegma, aber die trockenen Katarrhe mit Atrophie – das ist häufig ein melancholisches Problem. Chronische Ekzeme, Arthrose, Gelenkeinsteifung – dieser ganze Bereich der chronisch-rheumatischen Erkrankungen ist nicht selten das Ergebnis ist einer mangelhaften Schwarzgalle-Ausscheidungen durch die Milz. Steinbildung, Nieren- und Gallensteine können schwarzgallig induziert sein. Die betreffenden Körpersäfte sind zu stark konzentriert (zu „trocken“), die darin gelösten Stoffe bilden Konkremente. Gleiches gilt für Harnsäureknoten bei Gicht. Fibrosen, Zirrhosen: Leberzirrhose, Lungenfibrose, Fibrose der Gallenblase, auch dies sind Krankheiten, die auf dem Boden einer Schwarzgalligkeit entstehen können. Ulzerationen, vor allem Unterschenkelgeschwüre – ein Zustand, der therapeutisch eine echte Herausforderung darstellt. Hierbei wird das zu Beginn besprochene multifaktorielle Geschehen deutlich: Die dem Ulkus zugrundeliegende Varikose ist auch wieder das Ergebnis einer Schärfenüberlastung des Blutes, häufig durch Schwarzgalle. Notwendig ist also die Stimulation der eliminatorischen Milzfunktionen, um die Säftequalität zu verbessern. Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals auf die alte naturheilkundliche Erkenntnis hinweisen, dass der Organismus in der Lage ist, über Haut und Schleimhäute Schlacken ersatzweise zu eliminieren, die er über die normalen Ausscheidungsorgane nicht los wird. Dies geschieht auf der Schleimhaut in Form von akuten oder chronischen Katarrhen und auf der Haut in Form von Ekzemen, Ausschlägen oder eben Ulzerationen. Das angesprochene Ulcus cruris ist ein typisches Beispiel für eine solche Ersatzausscheidung, über die der Körper sich von Schärfen im stagnierenden Blutfluss befreien kann.

Schwarzgallige Krankheitsprinzipien als Folge einer humoralen Milzinsuffizienz
(Traditionelle Sicht)

  • Mangelhafte Heilungsreaktionen (Hypoergie)
  • Chronizität
  • Degeneration
  • Elastizitätsverlust / Erstarrung
  • Kristallisation
  • Depression / Geistige Unbeweglichkeit
  • Malignität

Daraus resultierende, typische Krankheiten:

  • Depression / Motivationslosigkeit
  • Chronische, trockene Katarrhe
  • Chronische Ekzeme
  • Chronische Arthritis, Arthrose, Gelenkeinsteifung
  • Nierensteine
  • Fibrosen / Zirrhosen
  • Ulcera
  • Malignosen

Ein weiterer Milz-Aspekt
Bisher lag der Focus unserer Betrachtung klar auf den ausscheidenden, entgiftenden Funktionen der Milz. Darüber hinausgehend ist die Milz aber auch das Organ, das die Bewegung der Feuchtigkeit im Körper regelt. Damit bekommt sie auch einen Bezug zu den ernährenden Phlegma-Prinzipien, deren Zentrum im System Mund-Magen-Darm-Pankreas (1. Coctio) und in den assimilatorischen Funktionen im Pfortadersystem und der Leber liegt (2. Coctio). Die Milz hat dabei die Aufgabe, die Nährsäfte dort hin zu leiten, wo sie gerade benötigt werden. Und sie verhindert Feuchtigkeitsstockungen im Gewebe, indem sie die Säfte in Bewegung hält. Eine Milzinsuffizienz kann daher auch Hintergrund für Ernährungsstörungen der Gewebe und für Ödeme sein. Auch wenn zur Optimierung der Kochungsprozesse die Stimulation des “Magen-Systems” mittels pflanzlicher Bittermittel im Zentrum steht, kann es doch in vielen Fällen sinnvoll sein, zusätzlich Milzmittel zu geben, damit die Nährsäfte auch dorthin kommen, wo sie gebraucht werden. Auch bei Ödemen und anderen Symptomen für Feuchtigkeitsstockungen ist es sinnvoll, neben gefäßtonisierenden Lymph- und Blutmitteln und Aquaretica zusätzlich ein Milzmittel zu verordnen. Für diesen Zweck steht uns die Scilla maritima (Meerzwiebel) zur Verfügung, eine von Hufeland’s wichtigsten Milzpflanzen. Näheres dazu weiter unten.

Im letzten Teil zum Thema „Milz“ stellen wir Ihnen im nächsten Newsletter 6 Heilpflanzen vor.

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Autor und ©: Friedemann Garvelmann www.trad-nhk.org