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Muttermilch – richtig nähren mit diesem mythischen Universalheilmittel

Teil 1

Stellen sie sich vor, es gäbe ein Medikament, das den Kindern von der Geburt an bis ins Kleinkindalter täglich gegeben wird, welches die Kinder klüger, sozialer und gesünder macht; dieses Mittel greift in die genetische Programmierung ein und verhindert dadurch vererbte Erkrankungen. Wollen sie ihrem Kind dieses Wundermittel Muttermilch vorenthalten?

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die ersten sechs Monate voll zu stillen, dann weitere zwei Jahre unter Beikost und auch darüber hinaus. Voll gestillt bedeutet: Die Ernährung des Kindes erfolgt ausschließlich mit Muttermilch. Die Realität sieht leider anders aus! Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus werden lediglich 73% der Kinder gestillt; nach sechs Monaten sind nur mehr 10% der Kinder in dieser glücklichen Lage! Den Kindern wird dadurch genau jener Powerdrink vorenthalten, der eingangs beschrieben wurde.

Das Wort „stillen“ leitet sich höchstwahrscheinlich ab von den Begriffen still, leise, in sich zu sein. Das Wort wurde erst ab dem 16. Jd. anstelle von „säugen“ – auf- oder aussaugen der Mutter- genutzt. Damit ist dem Kind die Brust zu geben mehr als bloße Nahrungsaufnahme; alle fünf Sinne des Kindes werden dadurch angeregt. Das Kind riecht die Mutter und die Nahrung, es spürt die Haut, den Herzschlag der Mama und deren eigene Ruhe, es hört die Stimme und den Rhythmus des Herzens und sieht die Mutter – die Distanz zu dem Gesicht der Mutter ist dabei ideal; es schmeckt die Vielfalt der Aromen, die es im Mutterleib bereits wahrgenommen hat und daher kennt. Kurzum, das Kind fühlt sich mit Liebe genährt.

Die Brust ist nach der Nabelschnur die zweite, wichtigste Verbindung der Mutter zum Kind. In vielen Kulturen gelten die Brüste der Frau – auch Mammae genannt – als das Symbol der Weiblichkeit. Die Verbindung zu der Mutter, der Mama ist offensichtlich. Der Mensch ist das einzige Säugetier, bei dem die Brust mit der Entwicklung zum Frausein ausgebildet wird und nach dem Stillen verbleibt. Der Busen ist venerisch, verwöhnend, nährend. Unmittelbar nach der Geburt müsste jedes Kind auf den Brustkorb der Mutter gelegt werden, um die Bindung zur Mutter zu intensivieren. Nach meist mehreren Stunden anstrengender Arbeit des Nachwuchses mit Hilfe der Mutter durch den Geburtskanal, findet er sich in einer kalten, hellen und ungewohnten Umgebung wieder und möchte Nähe wahrnehmen, Wärme spüren, das Schlagen des Herzens hören, ihm Vertrautes. Diese Momente sind für Mutter und Kind bindend und werden daher als Bonding bezeichnet. Vielfach werden Neugeborene der Mutter entrissen, um sie zu Wiegen und zu Messen, obwohl sich weder Größe noch Gewicht nach ein paar Stunden nennenswert verändert hätten. Das Bonding verliert jedoch bereits zehn Minuten später diese besondere, enorm wichtige Qualität, vergleichbar, als ob man Tage nach einem verletzenden Erlebnis getröstet würde. Die Hormonausschüttung und damit auch jene Stoffe der Mutter, die in die Muttermilch übertreten, werden so unterbunden. Dies ist wesentlich neben der Verbindung, die zwischen Mutter und Kind entsteht. Viele Mütter realisieren erst durch den Körperkontakt mit dem Kind im Außen, dass es auf der Welt ist und aus der Frau, der Schwangeren eine Mutter geworden ist. Dieses Kuscheln, das nackt erfolgen muss, ist Basis für den Stillerfolg und damit einer der Teile dieses besonderen Gesundheitsmittels Muttermilch, das unsere Jüngsten bekommen sollten.

Entgegen landläufiger Meinung kann jede Frau stillen; jedes Kind kann gestillt werden. Keine Brustwarze (ein umstrittener Begriff) ist ungeeignet, die jeweilige Mamille passt perfekt zu dem entsprechenden Kind! Besonders Neugeborene mit Beeinträchtigung oder Frühchen sollten in den Genuss dieses Heilmittels kommen, denn weder Vorerkrankungen der Mutter noch Medikamenteneinnahmen sind ein Ausschlusskriterium des Stillens. Die Empfehlung, den Arzt zu fragen, ist nur dann zweckmäßig, wenn dieser ein ausgebildeter Stillberater ist. Sonst wird häufig bei Medikamenten, manchmal sogar bei naturheilkundlichen Mitteln vom Stillen abgeraten; selten ist untersucht, ob oder wieviel des Arzneimittels in die Muttermilch übergeht und welche Auswirkungen es in Wahrheit hat. Tatsächlich liegen immer Erfahrungswerte vor. In jedem Fall kann der Mutter auf individuellem Wege zum Stillen verholfen werden. Mit Hilfe kann sogar Frauen, die bereits abgestillt haben, zu einer Relaktation und damit zu einem erneuten Milchfluss verholfen werden. Nicht einmal eine Schwangerschaft ist Voraussetzung, um zu stillen! Fakt ist: Der Schaden, der durch mangelndes oder fehlendes Stillen entsteht, ist viel größer, nicht nur persönlich, sondern auch wirtschaftlich sowie gesellschaftlich betrachtet. Unwille der Frau und fehlende Unterstützung sind das größte Stillhindernis. Die Anerkennung und Unterstützung des Vaters, dass das Kind gestillt wird, sind -wie Studien zeigen- für die Stilldauer ausschlaggebend.

Jede Muttermilch ist exklusiv zusammengesetzt. Damit ist nicht nur gemeint, dass sich jene der Kuh von jener eines Wales unterscheidet – dies natürlich auch. Bedeutsamer ist, dass die Milch von Mutter zu Mutter, von Kind zu Kind, von Jungen und Mädchen und sogar nach Tages- und Jahreszeit variiert. Farbe, Konsistenz, Geschmack und Komposition verändern sich individuell. Die Muttermilch enthält Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette und Proteine, Mikronährstoffe und Vitamine, die für den Säugling von großer Wichtigkeit sind. Darüber hinaus sind Hormone, Enzyme und Nukleotide (RNA- und DNA-Bausteine) enthalten. Muttermilch lebt! In einem Tropfen Muttermilch sind 4000 aktive Zellen enthalten, Stammzellen, Wachstumsfaktoren, Immunglobuline, die für die spezifische und unspezifische Abwehr von Bedeutung sind. Sie beinhaltet Stoffe, die in die genetische Information eingreifen und den Organismus programmieren. Vom Darm über die Niere, dem Stoffwechsel und dem Immunsystem bis zu Gehirn wird epigenetisch eingegriffen und reguliert. Man stelle sich vor, diese Veränderung der menschlichen Software erfolgt mit Hilfe von Stoffen, die für ein Kalb gedacht sind! Nur die Muttermilch und damit das Stillen sichert eine kontrollierte, artspezifische, individuelle, epigenetische Programmierung. Bekannt ist, dass gestillte Kinder um 30-60% seltener an Infektionen, Durchfall, Atemwegserkrankungen oder wie Pseudokrupp und Otitis media erkranken. Das Auftreten von Asthma und Allergien wird eingeschränkt; belegt ist die Reduktion sogar von genetisch vorbelasteter Leukämie. Stillkinder sind nachweislich seltener krank! Während des Stillens sind die Säuglinge durch den sogenannten Nestschutz gegen verschiedenste Krankheiten immunisiert. Gleich nach der Geburt werden bei der Mutter durch das Stillen die Rückbildung und der Wochenfluss gefördert. Stillende haben ein um über 20% vermindertes Brustkrebsrisiko, ebenso wie jenes für Eierstockkrebs oder Osteoporose. Das Diabetesrisiko sinkt sogar um 35%, jenes für kardiovaskuläre Erkrankungen um 28%. Durch die beim Stillen freigesetzten Hormone erhöht sich auch die Bindungsfähigkeit an den Partner. Oxytocin ist das Liebeshormon, Prolaktin fördert das Durchhaltevermögen. Diese Verbindungsfähigkeit, die beim Säugling genährt wird, hält an, sie macht das Stillkind ausgeglichener, geerdeter für sein ganzes Leben.

Fortsetzung folgt

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Text zur Verfügung gestellt von
Mag.a pharm. Dr. Gabriele Kerber-Baumgartner
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