So manche Allee oder mancher Dorfplatz wird von ihr geprägt: Die Linde ist ein weitverbreiteter Laubbaum und spielt eine wichtige Rolle in der Mythologie, Kultur und Medizin Europas. Sie zählt mit ihren großen, herzförmigen Blättern, den duftenden Blüten und ihrer vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten zu den wertgeschätzten Bäumen. Kein Wunder also, dass verschiedene Teile des Lindenbaums aufgrund seiner heilsamen Eigenschaften in der TEM genutzt werden.
Von der Gattung Tilia sind ca. 50 Arten bekannt, in Europa kommen mit der Sommerlinde (Tilia platyphyllos) und der Winterlinde (Tilia cordata) vor allem zwei Arten vor. Gerhard Madaus beschrieb die beiden Gattungen gemeinsam als Tilia europea, bekannt sind zahlreiche Hybridformen. Linden blühen ab Juni erst, wenn sie voll belaubt sind, und duften charakteristisch lieblich nach Nektar. Linden sind hervorragende Honigbäume. Da Linden oft mit Läusen bevölkert werden, mischt sich in den Lindenblütenhonig der Honigtau der Läuse zum Lindenhonig. Der helle Honig hat ein feines Aroma, variiert von Jahr zu Jahr und hat wohltuende Wirkung bei Erkältungen.
Schon lange begeistert die Linde den Menschen. Linden waren in der nordischen Mythologie Freya geweiht sowie bei den Germanen Frau Holle. In der Nibelungensage verhinderte ein Lindenblatt gar Sigfrieds Unsterblichkeit! Um die Linden der Dörfer waren Versammlungsorte, unter denen Gericht gehalten und Festlichkeiten ausgerichtet wurden. Damit entführte die Linde die Menschen aus ihrem kargen Alltag, schenkte Geborgenheit und Gemeinschaftssinn, ermöglichte Menschen Liebe und Trauer. Die Linde war ein Schicksalsbaum, im Sommer sagen die Elfen – so meinte man – in ihren Zweigen. Auch besangen Walter von der Vogelweide über Goethe bis Schubert viele die Vorzüge des Lindenbaums.
Nicht nur in der Mythologie und Lyrik, sondern auch heilkundlich wurde die Linde bereits seit im Altertum genutzt. Plinius und Galen sprechen von ihren breiten Verwendungsmöglichkeiten. Die Linde gehört zu den Malvengewächsen, die befeuchtende Wirkungen aufweisen. Sie gilt in der Humorallehre als säfteoptimierend, wirkt wärmend und anregend auf die Herz- und Gefäßdynamik. Dadurch wird zähe Feuchtigkeit vermindert sowie die Ausscheidung von Schärfen über Schweiß und Urin begünstigt. Mit zunehmender Auszugszeit des Tees wird dieser humoral betrachtet kühler und feuchter. Er wird folglich bei Fieber, Entzündungen und Erhitzungszuständen empfohlen, kann einen akuten Infekt verkürzen. Auch in der modernen Medizin ist der Lindenblütentee ein populäres und wissenschaftlich anerkanntes Mittel. Lindenblüten enthalten unter anderem ätherische Öle, Schleimstoffe, Gerbstoffe und Saponine. Vor allem die schweißtreibende und beruhigende Wirkung macht sie zu einem beliebten Hausmittel bei Erkältungen und Grippe. Ein Tee aus Lindenblüten wirkt schweißtreibend und fördert die Ausscheidung von Giftstoffen durch das Schwitzen. Des Weiteren werden Lindenblüten zur Linderung von Husten, aufgrund ihrer schleimlösenden und reizmildernden Eigenschaften, eingesetzt. Die kräftigende und auch krampflösende Wirkung erfolgt parallel auf die Schleimhäute des Verdauungstraktes. Damit kann sie insbesondere bei Kindern bei Magen-Darm-Katharren helfen. Auch bei Nervosität und Schlafstörungen kann ein Aufguss aus Lindenblüten, die Tinktur oder das Gemmomazerat aufgrund seiner entspannenden Wirkung angewendet werden. Der Tee wird im Sommer als erfrischender Eistee getrunken, im Winter empfiehlt sich, eine Scheibe Ingwer mit aufzubrühen.
Lindenblüten sind von der Venus signiert, auch der Mond zeigt in ihnen seine Kraft. Daraus resultiert die harmonisierende und nährende Wirkung der Zubereitungen. Der ganze Baum, der bis 40 Meter hoch werden kann und bis tausend Jahre alt wird, ist natürlich darüber hinaus jovial geprägt. Wird der Lindenblütentee nach dem Überbrühen kurz aufgekocht, verfärbt er sich rot. Diese Signatur des Mars zeigt den Bezug zur blutreinigenden und antidyskratischen Wirkung. Auch kalt über mehrere Stunden angesetzt führt zu dieser Rotfärbung.
Ferner werden in der Traditionellen Europäischen Medizin Lindenknospen verwendet. Sie sind reich an wertvollen Inhaltsstoffen wie Schleimstoffen, Flavonoiden, ätherischen Ölen sowie Pflanzenhormonen und Wachstumsfaktoren. Die Knospen der Linde werden als Mazerat bereitet. Traditionelle Anwendungen beschreiben immunstärkende sowie blutreinigende Eigenschaften. Daher werden Lindenknospen zur Linderung von Erkältungssymptomen und zur sanften Unterstützung der Atemwege genutzt. Oftmals werden sie begleitend in der Rekonvaleszenz oder zur allgemeinen Stärkung des Körpers eingesetzt. Überwiegend angewendet werden die Knospenzubereitungen der Linde jedoch als Nerventonikum. Ganz entsprechend der jahrhundertelangen Bedeutung als Gesellschaftsbaum unterstützten Lindenknospen bei Trauer und Liebeskummer, in sozialen Konfliktsituationen und schenken insgesamt mehr Gelassenheit. In Salben eingearbeitete Lindenknospenzubereitungen können zudem Hautirritationen beheben.
Die Blätter der Linde werden traditionell als mildes entzündungshemmendes und abschwellendes Mittel verwendet. Bei Hautentzündungen und kleinen Wundstellen können Lindenblätter als Auflage dienen, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Lindenblüten- und Lindenblatttee haben hautberuhigende Wirkung etwa bei Sonnenbrand, entzündeten Augen und allergischen Ausschlägen. Der Abzud eignet sich als Gesichtswasser, zum Baden und ist nach Hildegard von Bingen gut für die Schönheit.
Nicht vergessen werden darf die Nutzung der Lindenknospen und Lindenblätter als Wildgemüse. Der Geschmack der Knospen erinnert an junge Erbsen mit einer leicht schleimigen Note und ermöglicht die Verarbeitung in pikanten und fruchtigen Salaten sowie als Topping auf Müsli oder auf Kartoffelspeisen. Die jungen noch zarten Blätter werden als Salat mariniert und getrocknet in Brot und Gebäck verwertet.
Sogar das Holz der Linde ist aufgrund seiner Weichheit und leichten Bearbeitbarkeit nicht direkt als Heilmittel bekannt, spielt aber in der Herstellung von Heilmittelutensilien. Ferner hilft Lindenholzkohle bei Durchfall und dient der Entgiftung. Das Öl der Samen hat laut Literatur einen ähnlichen Geschmack wie Olivenöl, ist nicht trocknend und wird nur schwer ranzig. Traditionell wurde es innerlich bei Heiserkeit verwendet. Heute ist es nur schwer erhältlich. Alternativ lassen sich Lindenblüten in Sonnenblumenöl ausziehen und das Öl als beruhigendes Hautpflegeöl nutzen.
Gesammelt werden von Juni bis August die Blüten. Sie liefern die Blütendroge Flos Tiliae. Bei beständigem, trocknem Wetter werden die Infloreszenzen inklusive Hochblatt von Hand gepflückt. Anschließend erfolgt die Trocknung im Schatten an einer luftigen Stelle. Die Droge wird alljährlich durch frische ersetzt. Reste des Vorjahresbestandes eignen sich zum Räuchern oder Baden. Die frischen Blüten können darüber hinaus in Alkohol oder Öl ausgezogen oder zu Lindenblütenwasser destilliert werden.
In einer Zeit, in der das Interesse an traditionellen und natürlichen Heilmethoden zunimmt, wird die Linde wohl weiterhin eine wichtige Rolle in der Naturheilkunde und in der Selbstmedikation spielen. Ihre bedeutende Stellung in der TEM verdeutlicht, dass Pflanzen nicht nur wegen ihrer direkten Heileffekte geschätzt wurden, sondern auch wegen ihrer tiefen Verwurzelung in der kulturellen Identität Europas.