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Die Energie-Situation in der konstitutionellen Irisanalyse

Teil 1

“Energiemangel ist am Ende Mutter aller denkbaren Krankheiten” (Joachim Broy)

In der Traditionellen Europäischen Medizin TEM werden die Gewebe und Organe als ‘Werkzeuge’ zur Realisierung ihrer spezifischen Funktionen im Interesse des Gesamtorganismus verstanden – stets angepasst an dessen sich permanent verändernden Bedingungen. Im Unterschied zur konventionellen Medizin, deren Fokus auf den organischen Strukturen liegt, steht in der TEM die Funktionalität im Zentrum der Betrachtung, was m. E. einer der wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden Medizinsystemen ist.

An der funktionellen Dynamik wird die Vitalität erkennbar, nicht in dem bloßen Vorhandensein eines Gewebes. In der Funktionalität unterscheidet sich Totes von Lebendigem und in der, den exo- und endogenen Bedingungen des Gesamtorganismus anzupassenden Funktionalität entscheidet sich, ob der betreffende Mensch gesund oder krank ist. Aber: Keine Vitalfunktion, keine Gewebetätigkeit sowie deren Regulation läuft ‘automatisch’ ab. Das Ingangsetzen und -halten der Funktionalität sind aktive energetische Prozesse, ebenso die hierfür notwendige Regulation.

Das polare Prinzip, für das in der TCM die Begriffe yang und yin stehen, ist auch in der humoralmedizinisch basierten TEM prägend, es werden lediglich andere Begriffe verwendet: Wärme steht für das aktive, nicht-stoffliche, energetische Prinzip, während die Feuchtigkeit Basis alles Materiellen, Struktiven ist. Darüber hinaus repräsentiert die Feuchtigkeit auch die Speicherform der Energie (Reserveenergie). Wärme und Feuchtigkeit treten niemals isoliert voneinander auf, sondern stehen in ständiger Wechselbeziehung zueinander bzw. beeinflussen sich gegenseitig.

In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den praxisrelevanten Aspekten der Wärme / Energie. Die ‘feuchten’ Aspekte werden Thema eines späteren Artikel sein.
Der Begriff ‘Energie’ steht in der TEM einerseits für physikalisch definierte Energie, wird aber auch eng mit dem Begriff Information assoziiert, teilweise fälschlich sogar synonym verwendet. Die humorale Qualität Wärme repräsentiert die Aktivform der Energie, ist aber durch Intensität bzw. Defizit von Wärme auch Übermittler von Informationen – und damit Impulsgeber und regulatives Prinzip für die gesamte Funktionalität des Organismus. Von jeder, wie auch immer gearteten, esoterischen Definition des Energie-Begriffes distanziere ich mich als Autor dieses Artikels ausdrücklich.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, haben die folgenden Faktoren Einfluss auf die Energiebilanz des Gesamtorganismus:

  • Qualität und Menge der Nahrung
  • Effizienz der Coctio (Assimilationsfähigkeit der Nahrung)
  • Energiebedarf des Organismus (aktuell bzw. konstitutionell)
  • Qualität und Effizienz des Nährstroms
  • Schärfen als pathogene Impulsgeber bzw. Blockadefaktoren mit gelbgalliger (heißer & trockener), bzw. schwarzgalliger (kalter & trockener Qualität)
  • Effizienz des Klärstroms
  • Effizienz der Elimination von Überschuss-Säften und Schärfen
  • Konstitutioneller bzw. aktueller Zustand des Interstitiums

Punkt 1 und 2 sind eng miteinander verknüpft.
Da sich die Energie des Menschen, neben Sonne und Luft, im Wesentlichen aus der Nahrung generiert, muss diese qualitativ hochwertig sein, und sie muss der Verdauungsleistung des betreffenden Menschen individuell angepasst sein. Daher können hier zur Ernährung auch keine allgemeingültigen Hinweise gegeben werden.

ad 2: Um für den Organismus verwertbar zu sei, muss die Nahrung drei ausgesprochen energiezehrende Transformationsschritte durchlaufen, die gesamthaft als Coctio bezeichnet werden. Man kann diesen Prozess auch als Assimilation von ‘körperfremd’ zu ‘körpereigen’ bezeichnen. Für die Coctio muss der Organismus in ‘energetische Vorleistung’ treten, um schlussendlich daraus mehr Energie zu gewinnen, als bei der Assimilation verbraucht wurde – eine Grundvoraussetzung des Lebens.

Das Endergebnis der Coctio ist das Sanguis – der (metaphorisch zu verstehende) Kardinalsaft, der sowohl physiologische Wärme als auch physiologische Feuchtigkeit in den Qualitäten repräsentiert, die dem betreffenden Menschen entsprechen.

Die Fähigkeit des Organismus, die für seine Vitalprozesse notwendige Wärme bereit zu stellen, erkennt man augendiagnostisch v.a. an dem Helligkeitsgrad der Krausenzone, der idealerweise mit dem übrigen Irisstroma identisch sein sollte. Pathophysiologisch relevant sind besonders Abdunkelungen direkt um den Pupillarrand, auch in Form eines Begleitschattens, der ein besonders gravierendes und sicheres Zeichen für ein Defizit des physiologischen Wärmeprinzips ist. Dies ist der humorale Hintergrund für hypokinetische Zustände, wie z.B. Minderbesaftung und Atonie des Magens (‘Kalter, schlaffer Magen’) und daraus resultierender Insuffizienz aller nachgeschalteten Verdauungsorgane.

Bild1: Deutliche Abdunkelung und Ektasierung der Krausenzone zwischen ca. 2 und 5:30 Konstitutionelle Merkmale: Lymphatisch-neurogen, plethorisch, hydrogenoid. Cholerische Schärfen

Wichtige Differenzierung: Man sieht in Abdunkelungen des Irisgewebes nicht die defizitären Gewebefunktionen selbst, sondern den allgemeinen Mangel an physiologischer Wärme, der für die Funktionseinschränkungen verantwortlich ist. Aus diesem Grund kann eine abgedunkelte Krause auch Hinweis auf ein allgemeines Energiedefizit sein, das sich in allen nur erdenklichen hypokinetischen Syndromen sämtlicher Organsysteme manifestieren kann. Eine erwärmend-tonisierende Behandlung mit Bitterpflanzen sollte bei Patienten mit abgedunkelter Krausenzone daher prinzipiell erfolgen.

Dieser Artikel wurden aufgrund des Umfangs in mehrere Teile unterteilt, die wir in den folgenden Newslettern veröffentlichen werden.

Autor und ©: Friedemann Garvelmann www.trad-nhk.org