BLOG November 2023
Das Wesen der Bäume

Schau in die Natur und du schaust in die Seele der Landschaft.

In den Ästen und Zweigen der Bäume liegen Wissen und Weisheit verborgen. Auf dem Weg durch den Wald verstummen die Gespräche. Eine innere Sammlung ist spürbar, sowohl um uns herum als auch in uns. Wir halten inne – an einem natürlichen Versammlungsplatz. Steinalte Bäume markieren wie Torwächter den Eingang. Dahinter strahlen die Bäume Würde und Mächtigkeit aus.

Ein kleiner steiler Pfad führt am Rand zwischen bemoosten Steinen durch. Die Spannung steigt und die Energie verdichtet sich. Unser Augenmerk richtet sich auf die Hüterin des Platzes, eine hochbetagte Birke, die zum Verweilen einlädt. Ich empfinde die Präsenz einer uralten Weisheitsquelle.

Der Wind begrüßt uns mit einer frischen Brise, die Blätter rauschen und feine Muster von Licht und Schatten zeichnen sich ab. Mit wachen Sinnen lassen wir uns zu den markanten Stellen dieses Ortes treiben. Baumkreise, Baumfamilien, bizarre Steinformationen zeigen ihr Gesicht. Wir sind weit oben und haben einen Überblick über das Land und auch für uns selbst. Hier können wir die wesentlichen Dinge des Lebens betrachten, können uns verbunden fühlen mit der Natur und ihrer Kraft.

Bäume schaffen Atmosphären
Bäume prägen den Landschaftsraum, in dem sie wirken und gestalten ihn mit ihrer Kraft. Die Verbundenheit mit ihnen zieht sich durch die gesamte Menschheitsentwicklung. Bäume sind Heimat, Nahrungsquelle und Heilmittel, Schutzraum und Versammlungsort für Rat, Gericht und Hochzeiten, Ort der Besinnung und Rückzug, Raum für kultische Handlungen und Zeremonien, für innere Einkehr und Kommunikation mit anderen Welten und Wesen. Sie sind Mittler zwischen Himmel und Erde, Lebensquelle und Lebensbewahrer. Unsere tiefe Beziehung kommt in mythologischen Überlieferungen, Legenden und Liedern zum Ausdruck.

Bäume – Häuptlinge im Pflanzenreich
Bäume sind langlebig – jedenfalls an unserer Lebenszeit gemessen. Wer kennt das nicht, unter einem uralten stattlichen Baum zu stehen, der schon ein paar hundert Jahre tief verwurzelt das Landschaftsbild prägt. Mich macht es immer ganz besonnen und ehrfürchtig. Fragen tauchen auf wie: Welche Geschichten und Erlebnisse mögen sich hier zugetragen haben? Welche Tiere haben diesen Baum aufgesucht, um dort Nahrung und Zuflucht zu finden? Welche Aufgabe übernimmt dieser uralte knorrige Baum in seinem Landschaftraum?

Empirische Baumheilkunde
In früheren Zeiten waren die Menschen durch ihre Lebensgestaltung der Natur und dem Jahresrhythmus tief verbunden. Durch ihre Abhängigkeit von der Ernte vor Ort war ihre Beobachtungsgabe geschult. Das Wesen der Bäume zu erkennen war für die Menschen selbstverständlich und Geisteskraft wurde in allem Lebendigen erkannt. Wir profitieren aus diesen Fähigkeiten und dem Erfahrungswissen, das auch heute den Menschen der Naturvölker noch zu eigen ist. So wurden von Mund zu Ohr Märchen, Mythen, Geschichten und Anwendungen aus der Volksheilkunde bis in die heutige Zeit weitergetragen. Heute wird eine Pflanze nach dem Wirkstoffgehalt geprüft und dann wird entschieden, ob sie in die Liste der Pflanzenmonographien aufgenommen wird.

Germanische Sagenmythologie
Bäume wurden in die jeweilige Kosmologie und Weltanschauung eines Volkes eingebunden. Der Norden, geprägt durch sein Landschaftsbild mit vielen undurchdringlichen Wäldern, hat alte Baumsitten und Gebräuche in seine Mythologie eingewoben. In der Edda, der nordischen Mythologie, wird berichtet, daß die ersten Menschen aus dem Stamm einer Ulme (Frau) und einer Esche (Mann) von den Brüdern Odin, Wili (auch Hönir) und We (Lodur) erweckt wurden. In der Weltenentstehung wird das Bild der Weltenesche Yggdrasil, dessen Zweige sich über alle neun Welten erstrecken und über den Himmel hinausragen, vermittelt. Im Baum sind die drei Welten Asgart (Götterwelt), Mitgart (Menschenwelt) und Utgart (Unterwelt) beheimatet.

Keltische Sagenmythologie
Bei den keltischen Druiden gab es den Oghamkreis, ein früh-irisches Baumalphabet, das in der Zeit von 600 v.Chr. bis ca. 700 n.Chr. in Gebrauch war und mündlich überliefert wurde. Der Baumkreis besteht aus 25 einheimischen Bäumen und Baumsträuchern, denen jeweils bestimmte Archetypen, Kräfte und Heilwirkung zugesprochen wurden. Der Oghamkreis wurde als Alphabet, zur Weissagung und für verschlüsselte Botschaften genutzt. Die Bäume sind im Jahreskreislauf einer bestimmten Zeit zugeordnet und dienen so als heiliger Kalender. Die Kelten haben die Bäume als Verkörperungen der geistigen Prinzipien ihrer Weltanschauung gesehen.

Die Signatur
In der traditionellen Medizin ist die Signaturenlehre ein wichtiges Kriterium zum Verständnis der Heilwirkungen von Pflanzen. Die „Signatur“ ist das Wesentliche oder Kennzeichnende jeglicher Erscheinungsform (lat. signum = Zeichen). Für den berühmten Arzt und Naturforscher Paracelsus von Hohenheim (1493 – 1541) bestand kein Zweifel, daß sich „in der Wesensgestalt eines Gegenstandes dessen innere, verborgene Kräfte zeigen“ und der Philosoph Jakob Böhme (1575 – 1624) sah in der Signaturenlehre „das Mittel zur Wesenserkennung der Dinge“. Form und Gestalt sind demzufolge nichts Zufälliges, sondern Ausdruck eines bestimmten Prinzips, einer Kraft oder eines Wesens. Und Ähnlichkeiten verweisen daher immer auf Zusammenhänge und Wechselwirkungen. Auf diesem Prinzip gründete schließlich auch Samuel Hahnemanns (1755 – 1843) Homöopathie: „Ähnliches heilt Ähnliches“.

Formgebende Kräfte
Formgebende Kräfte Aus den formgebenden Kräften der Bäume kann ihre Heilwirkungen abgeleitet werden. Die Genetik bestimmt, welche Formen bei bestimmten Bäumen möglich sind – die ästhetische Gesamterscheinung eines frei wachsenden Solitärbaums ist darin jedoch überhaupt nicht begründet. Aufbauend auf den Gesetzmäßigkeiten seiner Genetik könnte jeder Baum völlig wild in alle Richtungen wuchern. Dennoch gestaltet ihn eine unsichtbare Hand bei ungehindertem Wachstum so, daß er in seiner Gesamtform entweder die Form seines Blattes (Linde, Buche) oder seiner Frucht (Apfel, Birne) widerspiegelt. So stellt sich die Frage: Wer diszipliniert die einzelnen Zweige und teilt ihnen mit, wann sie ihr individuelles Wachstum einzustellen haben, um sich in die gemeinschaftliche Form zu fügen?

Text und Bild zur Verfügung gestellt von
Franca Bauer
www.franca-bauer.de