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Das Sonnwendfeuer

Sommer-Sonnen-Wende bedeutet astronomisch, dass uns die Sonne jedes Jahr am 21.Juni den längsten Tag und die kürzeste Nacht beschert. Das heißt auch, dass sie am Jahreshöchstpunkt angelangt ist. Wir beobachten und bemerken dies ab März an Ihrer Wanderung vom frühesten östlichsten Punkt über den südlichen Himmel zum spätesten westlichsten Punkt am Horizont.

Dieser besondere Tag im Jahr zeigt die Spitze des Wachstums einer Licht durchfluteten Zeit im Sonnenjahr an, um die sich gar einige Festtage und Rituale in mehreren religiösen Kalendern verdichten: Pfingsten, Herz Jesu-Feuer, Johanni, Fronleichnam oder Ramadan werden seit langer Zeit auf diese „lichtreiche Periode“ konzentriert. Wann in den Jahrmillionen unseres Sonnensystems die Sonne weiblich verehrt wurde, ruht noch im Verborgenen. Das Licht durchdringt die Natur. Es bildet eine Schnittstelle, in der das Licht über die Dunkelheit siegt. Der Mitsommer ist nahe, die Blütenpracht und das Reifen der Samen und Früchte gibt alles, in tiefer Demut. Die Menschen-Seele wünscht sich, darin verweilen zu dürfen. Sie spürt das ineinander schwingende Wohlwollen zwischen Natur und Sonne/Licht, der vollen Entfaltung natürlicher Potenziale dienend, das Geben um zu ernten. Hier ist also die Schöpfungskraft im Mittelpunkt, mit all ihren Helfern und Dienern, sichtbaren und unsichtbaren.

Die Sommer-Sonnenwende betont ein Siegesfest der durchdringenden ENT-FALTUNG innerhalb einer höheren Ordnung. Die Natur gebiert durch das Licht den vollen Entwicklungsstand eines Lebewesens. Seit Äonen, bewusst oder unbewusst wahrgenommen, kann das Verständnis dafür in größeren Zusammenhängen immer wieder neu aktiviert und erfahrbar gemacht werden. Wissend ob der Gezeiten der Elemente, unterliegt auch der Mensch den Zyklen und Rhythmen des Jahreslaufes und den darin eingebundenen Naturgesetzen.

Seit Urzeiten feiern die Völker aller Kontinente diesen Sonnenstand (und viele weitere) mit einem Sonnwend-Feuer. Das Feuer als wesentliches Wachstumselement wird in Mythologien aller Urvölker beschrieben und bewusst bildhaft gehütet. Bei Nordamerikanischen Indianern war es einst die Spinne, die mit ihrem Netz- oder Fadenbau zur Sonne, das Feuer auf ihrem Rücken tragend, auf die Erde gebracht hat. Sie feiern den Sonnentanz mit vielen Sonnwend- und Reinigungsfeuern und wünschen sich anschließend ein gutes neues (Sonnen-)Jahr. Bei den Aborigines ist es die Weltenschlange, im Uluru wohnend, die sich entrollt und dem Menschen das Feuer bringt. Auf Hawai´i ist es Göttin Péle, die aus ihrem demütigen Lava-Strom aus dem Herzen der Mutter Erde unaufhaltsam neues, fruchtbares Land kreiert. Am südlichsten Punkt von Big Island gibt es eine Stelle, wo zwischen zwei vom Lava-Strom gebildete Gesteinsbrocken ein Tor entstanden ist, durch das die Sonne jährlich am 21.Juni am Horizont aufgeht. Ähnliche Orte gibt es auf Malta, in Kreta, in England (Stonehenge), Lateinamerika (z.B. Machu Picchu), Indonesien, Ägypten (Pyramiden), Mongolei oder dem weltweit täglich zu Sonnenauf- und Untergang ausgeführten „Agni Hotra“. Auch die Dogon in Afrika, welche einer Jahrtausende alten, genau berechenbaren Tradition der Astronomie verbunden blieben, erkennen in ihren Schöpfungsritualen die Sonne als zentrale Kraft allen Lebens. In tiefer Verehrung wird das Bewusstsein erneuert, dass es ohne Sonne kein Licht und folglich auch kein Leben auf der Erde geben kann. Ohne Feuer wären Geist, Seele und Körper der Lebewesen zutiefst verwahrlost und verdorrt. Ausgewählte Mit-Menschen werden von Kindheit an Jahre- oder Jahrzehnte lang auf Rituale hin ausgebildet und vorbereitet. Schamanen in Peru z.B. widmen ihr halbes Leben den Sonnenritualen, in denen sie die ganze Welt mit einbinden. Oder z.B. Schamane Angaangaq aus Grönland, der gut 40 Jahre intensive Bildung von einem dazu beauftragten Lehrer erhielt, um das erste Heilige Sonnwendfeuer nach Generationen am Nordpol mit auf Grönland gewachsenem Holz, anstelle des Robbenöls, im schmelzenden Eis zu entfachen. Zusammen mit weiteren 100 Schamanen und Hütern der Erde und der Sonne als miteinander auf das Leben wirkende Kräfte, gelang das anscheinend Unmögliche. Lieder, Tänze und Segenssprüche in tausende von Jahren alten, überlieferten Sprachtexten und Bewegungen werden von ausgewählten Menschen mit vererbten Medizinkenntnissen, schamanischen Lehren oder „good MANA“ (guter Energie) beauftragt, das Ritual zu vollziehen. Trommeln, heilige Utensilien und Opfergaben unterstützen den Vorgang. Mit Orakeln oder Beschwörung hat diese Art Ritual aber nichts gemeinsam.

Traditionell versammeln sich Menschen am 21. Juni um die Feuerstelle und lassen den Winter mit seiner Kälte, das Alte unbrauchbare an Gedanken, an Taten oder an Gewohnheiten zurück. Sie beten und bitten um Kraft, Schutz, Fruchtbarkeit, positives Gedankengut, Heilung für Mutter Erde, ihre Hilfe u.v.m. Sie danken für die durchdringende Wärme, das Nährende. Das Feuer schenkt Antworten, das Feuer schenkt Lösungen, das Feuer beschenkt den Menschen gemäß den Fragen, die er an ES stellt. Dargebrachte Heilpflanzen und andere Güter, die zu Heilungszwecken dienen, erhalten den Segen des Feuers und werden dadurch in ihrer Wirkkraft verstärkt. Feuer transformiert.

Rituale werden zelebriert, um einerseits die Gaben der Natur zu ehren, andererseits aber auch die Hoffnung ausgesprochen werden will, das Licht erfahren zu dürfen! Das Herz eines jeden Lebewesens kann sich öffnen und das Licht einfließen lassen. Denn die eigene Erfahrung führt letztlich zur sicheren Erkenntnis. Licht ist Liebe und gilt in vielen Ländern als das fünfte Element. Dies alles bedarf jedoch der Erneuerung. Der Ritualisierung.

Rituale kanalisieren Zugänge zu Heilung. Heilung setzt Aufmerksamkeit voraus. D.h. was fokussiert wird, kann geschehen. Wird in eine solche Handlung eine Erwartung gesetzt, ist das Ganze schon wieder auf „Bestellung“ reduziert. Beten und Bitten in Demut beinhaltet eine gewisse Neutralisierung des Notstandes, des emotionalen Überschwangs und führt und lenkt zu ungeahnten Lösungsmöglichkeiten.

In diesem Jahr 2020 gestaltet sich der SONNWEND-Morgenhimmel mit einem Neumond in Krebs, nachdem die SONNE kurz vor Mitternacht in das Zeichen Krebs eintritt. Damit dürfte uns ein spezielles und kraftvolles, tief berührendes Feuerritual geschenkt sein. Menschen sind eingeladen sich mit dieser Kraft zu verbinden, sich aufzuladen und sich mit den gemeinsamen Feuern weltweit zu vernetzen.

Im 21. Jahrhundert hat sich die Energie der Ritualisierung stark verändert. Mittlerweile ist sich jeder Mensch der ihm innewohnenden Kräfte und Eigenverantwortung bewusst. Nach wie vor geht es um die innere Haltung zu allen seinen persönlichen Handlungen. Das Feuer repräsentiert das Göttliche, das Immerwährende, die Inspiration, den Funken, das Strahlende, das Durchdringende, geistige Klarheit, Intelligenz, Herzenskraft, glühende Leidenschaft, die Jugend, die Blüte, aber auch Bitteres, Schärfe, Hektik, Ausdehnung, Freisetzung von gebundener Energie und Zerstörung. Eine der wichtigsten Aufgaben unserer Vorfahren bestand darin, das Feuer zu hüten. Daher ist ein sehr oft gebrauchtes Zitat von Jean Jaurès: “Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ in heutiger Zeit die Geschichte des Feuers gerade wieder neu bewegend und belebend.

Jeder kann das Sonnwendfeuer entfachen. Es hat etwas Ewiges in sich und schafft Verbundenheit und stille Kommunikation.

Einige weitere Begleiter seit Menschengedenken dazu sind:
Beifuß (Artemisia vulg.) und Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum). Sie werden zu Kräuterbuschen oder Medizingürteln gebunden. Die Mondgöttin Artemis und ihr Bruder Apollon übernahmen einst den Auftrag, Licht in die Welt zu bringen. Ein Gürtel aus Artemisia vulg. für die Lenden, einen Kranz daraus für den Kopf, Pulsreifen für Hand- und Fußgelenke wurden und werden zum Schutz vor Dämonen und Finsternis getragen. Damit wird am Heiligen Feuer getanzt, über das Feuer gesprungen. Am Ende werden die Gürtel dem Feuer geopfert oder zu weiteren ganz persönlichen Räucher- und Reinigungs-Zwecken verwendet neu entfacht.

Johanniskraut, Rainfarn, Kamille, Betonie, Eisenkraut oder Schafgarbe gehören z.B. entweder einzeln oder als Buschen gebunden zu den Heilpflanzen, die in der Gruppe für ein gemeinsames Ritual gesammelt werden.

Gelb blühende Heilkräuter gesammelt, getrocknet und aufbewahrt, dienen in Katastrophen dem Feueropfer mit einem Stoßgebet um gnädigen Verlauf.

Die an diesem Tag gesammelten und verarbeiteten Heilpflanzen ergeben eine sehr kraftvolle Heilsalbe für Geist, Seele und Körper.

Weihrauch und Myrrhe wirken als zwei der drei Dreikönigsgaben und schimmern in sonnenhafter Goldfarbe. Sie reinigen unsere materiell verfestigte Materie, führen über die Transformation des Feuers/Rauches in Geist, Seele und Körper zur Erhellung und Öffnung aller Sinne. Klinisch bedeutet dies kurz gesagt, ihre Inhaltsstoffe übermitteln mittels Transmitter neurologische Erkenntnisse der besonderen Art.

Text und Bild zur Verfügung gestellt von
Judith Wieser
www.judithwieser.com